Eine 10-Jahres-Studie mit über 600.000 Einwohnern Hongkongs ergab, dass die langfristige Einnahme von niedrigdosiertem Aspirin (durchschnittlich 80 mg täglich über 7,7 Jahre) das Gesamtkrebsrisiko um 25 % senkte. Besonders deutlich war der Schutz vor Leber- (51 % geringeres Risiko), Magen- (58 %) und Bauchspeicheldrüsenkrebs (46 %). Allerdings zeigte sich bei Aspirin-Anwendern ein um 14 % erhöhtes Brustkrebsrisiko. Trotz der vielversprechenden Schutzeffekte raten Forscher von einer routinemäßigen Einnahme zur Krebsprävention ab, bis weitere Studien die Ergebnisse bestätigen.
Langfristige niedrigdosierte Aspirin-Einnahme senkt Krebsrisiko bei Chinesen – außer bei Brustkrebs
Inhaltsverzeichnis
- Bedeutung dieser Forschung
- Studiendurchführung
- Detaillierte Krebsrisiko-Ergebnisse
- Dauer der Anwendung ist entscheidend
- Bedeutung für Patienten
- Studieneinschränkungen
- Patientenempfehlungen
- Quelleninformation
Bedeutung dieser Forschung
Aspirin wird häufig zur Vorbeugung von Herzinfarkten und Schlaganfällen eingesetzt. Sein Potenzial zur Krebsprävention wurde jedoch vorwiegend in westlichen Populationen untersucht. Unklar war, ob diese Effekte auch für asiatische Bevölkerungsgruppen mit anderer Genetik und Krebshäufigkeit gelten. Diese Studie schließt diese Lücke, indem sie die Wirkung von langfristig niedrigdosiertem Aspirin speziell auf das Krebsrisiko chinesischer Patienten untersucht.
Bisherige Studienergebnisse waren uneinheitlich. Einige westliche Untersuchungen zeigten eine Risikosenkung für Darmkrebs um 26–32 %, andere fanden keine Wirkung auf weitere Krebsarten. Die US Women's Health Study mit fast 40.000 Teilnehmerinnen ergab sogar überhaupt keine Risikoreduktion. Angesichts von weltweit jährlich etwa 14 Millionen Krebsneuerkrankungen und 8 Millionen Krebstodesfällen sind wirksame Präventionsstrategien dringend notwendig. Die Hongkong-Studie liefert nun erstmals großangelegte Belege aus einer asiatischen Population für die potenziell schützende Wirkung von Aspirin gegen verschiedene Krebsarten.
Studiendurchführung
Die Forscher werteten medizinische Daten von 612.509 Erwachsenen aus dem öffentlichen Gesundheitssystem Hongkongs aus. Die Studie umfasste:
- Studiendauer: 13 Jahre Nachbeobachtung (2000–2013)
- Teilnehmer: 204.170 Aspirin-Anwender sowie 408.339 Nicht-Anwender (im Verhältnis 1:2)
-
Einschlusskriterien:
- Erwachsene mit Aspirin-Verschreibung über mindestens 6 Monate zwischen 2000–2004
- Durchschnittsalter: 67,5 Jahre
- Median-Dosis: 80 mg täglich
- Durchschnittliche Einnahmedauer: 7,7 Jahre
- Vergleichsgruppe: Personen ohne Aspirin-Verschreibung während des gesamten Studienzeitraums
- Datenquelle: Elektronische Gesundheitsakten aller öffentlichen Krankenhäuser und Kliniken Hongkongs (Versorgung von über 7 Millionen Menschen)
Krebsdiagnosen wurden anhand standardisierter medizinischer Codes (ICD-9/ICD-10) erfasst. Mittels statistischer Methoden (Cox-Regression mit inverser Wahrscheinlichkeitsgewichtung) wurden Störfaktoren wie die Einnahme anderer Medikamente (nichtsteroidale Antirheumatika, Antikoagulantien, Diabetesmedikamente) berücksichtigt, um den spezifischen Effekt von Aspirin zu isolieren.
Detaillierte Krebsrisiko-Ergebnisse
Während der Nachbeobachtungszeit traten 97.684 Krebsfälle auf. Aspirin wirkte sich wie folgt auf das Risiko bestimmter Krebsarten aus:
Krebsarten mit signifikant reduziertem Risiko
- Leberkrebs: 51 % geringeres Risiko (RR: 0,49; 95 %-KI: 0,45–0,53)
- Magenkrebs: 58 % geringeres Risiko (RR: 0,42; 95 %-KI: 0,38–0,46)
- Bauchspeicheldrüsenkrebs: 46 % geringeres Risiko (RR: 0,54; 95 %-KI: 0,47–0,62)
- Darmkrebs: 29 % geringeres Risiko (RR: 0,71; 95 %-KI: 0,67–0,75)
- Lungenkrebs: 35 % geringeres Risiko (RR: 0,65; 95 %-KI: 0,62–0,68)
- Speiseröhrenkrebs: 41 % geringeres Risiko (RR: 0,59; 95 %-KI: 0,52–0,67)
- Leukämie: 33 % geringeres Risiko (RR: 0,67; 95 %-KI: 0,57–0,79)
Krebsarten ohne signifikante Veränderung
- Nierenkrebs (RR: 1,01)
- Blasenkrebs (RR: 1,06)
- Prostatakrebs (RR: 0,95)
- Multiples Myelom (RR: 0,95)
Krebsart mit erhöhtem Risiko
- Brustkrebs: 14 % höheres Risiko bei Frauen (RR: 1,14; 95 %-KI: 1,04–1,25)
Insgesamt war die Krebsrate bei Aspirin-Anwendern um 25 % niedriger als bei Nicht-Anwendern (13,2 % vs. 17,3 %). Die häufigsten Krebsarten waren Lungenkrebs (3,0 % vs. 4,6 %) und Darmkrebs (2,5 % vs. 3,3 %). Alle Risikoreduktionen waren statistisch hochsignifikant (p<0,001), der Anstieg bei Brustkrebs signifikant (p=0,004).
Dauer der Anwendung ist entscheidend
Bei der Analyse verschiedener Nachbeobachtungszeiträume zeigte sich, dass der Krebsschutz mit längerer Einnahmedauer zunahm, während das Brustkrebsrisiko im Zeitverlauf anstieg:
Krebsart | Nach ~4 Jahren Einnahme (2006) | Nach ~6 Jahren Einnahme (2009) | Nach ~8 Jahren Einnahme (2013) |
---|---|---|---|
Leberkrebs-Schutz | 59 % geringeres Risiko | 66 % geringeres Risiko | 51 % geringeres Risiko |
Magenkrebs-Schutz | 64 % geringeres Risiko | 68 % geringeres Risiko | 58 % geringeres Risiko |
Brustkrebs-Risiko | 4 % höher (nicht signifikant) | 3 % niedriger (nicht signifikant) | 14 % höher |
Die Effekte waren über Geschlechter und Altersgruppen (unter 65 vs. 65+) konsistent. Bemerkenswert ist, dass bereits eine niedrige Dosis (Median 80 mg täglich) signifikante Wirkungen zeigte.
Bedeutung für Patienten
Diese Studie liefert die bislang stärksten Hinweise, dass langfristig niedrigdosiertes Aspirin das Risiko mehrerer Krebsarten in asiatischen Populationen senken kann. Besonders ausgeprägt waren die Schutzeffekte bei gastrointestinalen Krebsarten (Leber, Magen, Bauchspeicheldrüse, Speiseröhre, Darm) sowie bei Lungenkrebs und Leukämie. Dies ist aus mehreren Gründen bedeutsam:
- Der Schutz trat bereits bei relativ niedrigen Dosen auf (80 mg täglich)
- Die Vorteile nahmen bei den meisten Krebsarten mit längerer Einnahmedauer zu
- Die Effekte wurden in einer Population mit anderer Genetik und Krebshäufigkeit als in westlichen Studien beobachtet
Das um 14 % erhöhte Brustkrebsrisiko bei Frauen ist jedoch besorgniserregend und bedarf weiterer Untersuchung. Dieser Befund widerspricht einigen früheren westlichen Studien, die einen Schutz vermuten ließen, und unterstreicht populationsspezifische Unterschiede.
Forscher vermuten, dass die entzündungshemmende Wirkung von Aspirin für die krebsprotektiven Effekte verantwortlich sein könnte. Chronische Entzündungen begünstigen die Krebsentstehung, und Aspirin hemmt entzündliche Signalwege. Die abweichenden Ergebnisse bei Brustkrebs deuten darauf hin, dass Aspirin hormonbedingte Krebsarten bei asiatischen Frauen möglicherweise anders beeinflusst.
Studieneinschränkungen
Trotz der großen, gut konzipierten Studie sind einige Einschränkungen zu beachten:
- Beobachtungsdesign: Da es sich nicht um eine randomisierte kontrollierte Studie handelt, kann keine Kausalität bewiesen werden. Aspirin-Anwender könnten sich in ihrem Gesundheitsverhalten von Nicht-Anwendern unterscheiden.
- Hongkong-spezifisch: Die Ergebnisse sind möglicherweise nicht auf andere Populationen mit unterschiedlicher Genetik, Ernährung oder Umweltexposition übertragbar.
- Nur Verschreibungsdaten: Rezeptfreie Aspirin-Einnahme wurde nicht erfasst, was zu Fehlklassifikationen führen könnte.
- Medizinische Indikationsverzerrung: Die meisten Aspirin-Anwender nahmen das Medikament wegen Herzerkrankungen ein. Diese Patienten könnten ein anderweitig verändertes Krebsrisiko haben.
- Brustkrebs-Befund: Das erhöhte Risiko war relativ gering und muss in weiteren Studien bestätigt werden.
Zwar wurden fortgeschrittene statistische Methoden eingesetzt, um Störfaktoren zu berücksichtigen, dennoch könnten nicht erfasste Einflüsse die Ergebnisse verzerrt haben.
Patientenempfehlungen
Auf Basis der Ergebnisse geben die Forscher folgende Empfehlungen:
- Nicht eigenmächtig mit Aspirin beginnen: Trotz vielversprechender Ergebnisse überwiegen bei Gesunden die Risiken (etwa Blutungen) möglicherweise den Nutzen.
- Arztgespräch suchen: Falls Sie bereits niedrigdosiertes Aspirin für die Herzgesundheit einnehmen, besprechen Sie die Krebsimplikationen bei Ihrem nächsten Termin.
-
Bewährte Prävention priorisieren: Setzen Sie auf etablierte Krebsvorsorge:
- Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen (Koloskopien, Mammographien)
- Raucherentwöhnung
- Gesundes Gewicht halten
- Alkoholkonsum einschränken
- Brustgesundheit überwachen: Frauen mit langfristiger Aspirin-Einnahme sollten besonders auf Brustkrebsvorsorge achten.
- Auf weitere Leitlinien warten: Großangelegte randomisierte Studien zur Krebsprävention mit Aspirin in asiatischen Populationen sind nötig, bevor Empfehlungen geändert werden.
Die Forscher betonten, dass Aspirin Standard-Vorsorgeuntersuchungen nicht ersetzen kann – selbst bei Krebsarten mit reduziertem Risiko. So bleibt beispielsweise die Koloskopie trotz des Schutzeffekts bei Darmkrebs unerlässlich.
Quelleninformation
Original-Forschungsartikel: Langzeitanwendung von niedrigdosiertem Aspirin zur Krebsprävention: Eine 10-Jahres-Bevölkerungskohortenstudie in Hongkong
Autoren: Kelvin K.F. Tsoi, Jason M.W. Ho, Felix C.H. Chan, Joseph J.Y. Sung
Journal: International Journal of Cancer (Band 145, Ausgabe 2)
Veröffentlichungsdatum: 15. Juli 2019
DOI: 10.1002/ijc.32083
Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf peer-reviewter Forschung und bewahrt alle originalen Daten, Ergebnisse und statistischen Resultate der Studie. Er wurde auf etwa 70 % der Länge des Originalartikels erweitert, um umfassende Abdeckung bei verbesserter Zugänglichkeit zu gewährleisten.